Henke Digital

Henke Digital 10.0 - Showdown der Vergessenen

21.08.2011 11:40 von Oswald Henke

Was für ein Wort: Anomie... Mit diesem Neuwort, zumindest für mich, wird ein aktuelles Phänomen in Europas Städten erklärt. Vorwiegend junge Menschen, die irgendwie vom System vergessen wurden, agieren mit ungezügelter Lust am Zerstören: brennende Autos, brennende Häuser, geplünderte Geschäfte, Angriffe auf Ordnungshüter. Nicht nur in den arabischen Städten beginnt es überzukochen, auch in Europa zeigt sich, dass eine Kluft in der Gesellschaft entsteht, die anscheinend für manche nur noch mit Gewalt überwunden werden kann. Gewalt von Seiten der Randalierenden und der Staatsgewalten. Egal ob gegen den Papstbesuch oder gegen Jugendarbeitslosigkeit oder gegen „sonst etwas“. Die Jugend randaliert, zügellos und manchmal auch hirnlos. Wie sonst erklären sich Plünderungen kleiner Ladenbesitzer? Brennende Autos jenseits der Luxuslimousine, nur weil Autos so toll brennen und gerade kein Mensch da war, den man anzünden konnte?

Mal ehrlich, gegen etwas zu sein ist ein Bürgerrecht, aber mit roher Gewalt und vollkommen unverhältnismäßig einfach nur herum zu marodieren hat mehr von einem degenerierten Mob als von einer aufgeklärten Gesellschaft. Erschreckend: insbesondere in London waren es aber nicht nur die bildungsfernen Jugendlichen sondern auch Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft: Studenten, Hausfrauen, ganz normale vorher unauffällige Bürger wurden Teil einer Gewaltwelle, die normaldenkende Menschen eigentlich nur fassungslos hätte machen dürfen und was passiert? Man macht mit, weil wohl manche Menschen in ihrem langweiligen Alltag vergessen haben was Recht und Unrecht ist, was richtig oder falsch.

Manch einfältiger Mensch lächelte noch in Überwachungskameras mit seinen Beutestücken, als ob es ein abzuholender Hauptgewinn gewesen sei, den man hier in einer Art Plünderungs-Bingo gewonnen hatte.

Liebe Mitmenschen, wenn Euch etwas stört, dann bitte mit Verstand demonstrieren, denn was jetzt passieren wird ist, dass die Hardliner unserer Politikerriege endlich noch mehr Kontrolle und Staatsgewalt installieren können, weil ihr unfähig ward, im Spielregelbereich der Demokratie zu bleiben. Vielleicht hätte sich hier der ach so gebildete oder vielmehr eingebildete marodierende Europäer etwas bei arabischen Demonstranten abschauen können, die sehr wohl wissen, dass man mit Gewaltlosigkeit am Ende alles erreichen kann, wenn sich die Menschen einig sind und vor allem was Richtig ist als Fundament ihres Handelns sehen.

Was in den europäischen Städten passiert, erschreckt mich, denn ich dachte das Plünderungen und Brandschatzen vergangene Attribute europäischer Streitkultur waren. Wie man sich doch irren kann.

Das bittere ist, dass das eigentliche Anliegen untergehen wird. Es geht nicht mehr um die Ungerechtigkeit in dieser Welt, und zwar egal wo, sondern es gibt den bürgerfernen Politikern die Möglichkeit, noch mehr Grenzen zu ziehen, noch mehr Bürgerrechte außer Kraft zu setzen und noch mehr Rechtsstaat abzutragen. Wieso sollte man einer vermummten, Molotowcocktail werfenden, vermeintlich anonymen Masse Menschen zuhören, wenn sie nicht einmal zu einer Diskussion auffordern kann oder eben ihre Meinung überhaupt in Worten offenbart.

Fakt ist, dass unsere Gesellschaft an jenem Punkt angelangt ist, an dem schon die vermeintlichen Hochkulturen der Griechen, Römer und Azteken zerbrochen sind. Die reiche Elite auf der einen Seite, die in ihrer Maßlosigkeit und Dekadenz alle Ressourcen auffraß, so dass für den Rest nicht mehr viel übrig blieb. Eine Gesellschaft kam in ein Ungleichgewicht und alle gemeinsam scheiterten. Immer dann wenn eine Gesellschaft ihre schwächsten Mitglieder vergisst und ausgrenzt und die Rechtsauffassung eines Staates ein Gummiband äußerster Dehnbarkeit wird, dann versinkt etwas einstmals Geordnetes in tödlicher und zerstörerischer Unordnung.

Tragt lieber T-Shirts mit Eurer Meinung als einen Stein zu werfen, der sicherlich niemandem erklären wird, was ihr wollt. Gewalttätern wird keiner zuhören und Steinewerfer, brennende Autos und eingeschlagene Schaufensterscheiben sind keine Imagewerbung, um für etwas im positiven Sinne zu werben.

Auch ich bin der Meinung, dass sich in diesem Land und generell in der Welt einiges verändern muss, aber bitte im Rahmen demokratischer Spielregeln. Wer etwas verändern möchte, kann dies im täglichen Leben praktizieren: indem er bewusst einkauft und auch darüber nachdenkt woher etwas kommt, was wir in unseren Geschäften finden. Oft ist billig durch vorher menschenunwürdige oder ausbeuterische Arbeit ermöglicht worden, häufig gepaart mit Rücksichtslosigkeit gegenüber Mensch, Natur und Tier. Also liebe Menschen, informiert euch von Euch aus, woher die Kinderhose für 3,50 EUR kommt und rechnet nach, wie viel wohl die Näherin in der Fabrik erhalten hat. Kauft eure Rosen für 1,99 EUR im Supermarkt und denkt darüber nach, wie so eine faire Entlohnung der Arbeiter irgendwo in Afrika möglich sein soll.

Die Welt ist schlecht, das wissen wir alle, beginnen wir doch einfach damit, sie in unserem eigenen Leben schöner zu machen und das beginnt am besten durch Fairness und dadurch, dass man auch an andere Menschen denkt, die irgendwo auf der Welt uns unseren Luxus durch unfreiwilligen Verzicht ermöglichen.

Anomie klingt irgendwie nach Anämie und irgendwie passt es, unsere Gesellschaft blutet sozial, intellektuell und kulturell aus. Anomie ist irgendwie ein cooles Wort, aber es ist ein Wort, das mir inhaltlich wenig gefällt. Harmonie ist auch ein tolles Wort und inhaltlich viel positiver.

Ich bin überzeugt, dass man mit Worten viel mehr verändern kann als mit Gewalt, denn Gewalt hat eine sehr kurze Halbwertzeit, während Worte etwas nachhaltig über eine sehr lange Zeit zum Positiven hin verändern können.

Norwegen hat trotz eines Angriffes auf seine Gesellschaft bewiesen, dass man auch anders mit Gewalt umgehen kann, die Zauberworte heißen zum einen Solidarität und zum anderen Toleranz, denn kluge Menschen wissen, dass diese beiden Worte das Zusammenleben von Menschen harmonischer gestalten können. Worte sind einfach etwas wunderbares...

© by Oswald Henke August 2011

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